HALLO,
am ersten Tag des Jahres 1600 nahmen die Leiden der Katharina Herbst ein Ende. Die 23 Jahre alte Grazer Magd lag gefesselt auf dem Erdboden. Brennende Kerzen umgaben sie, Kruzifixe und Gefäße mit Weihwasser. Ihr Schicksal leitete nun ein Buch. Aus dem Lateinischen übersetzt lautete sein Titel: »Teufelsgeißel«. Seit Monaten hatten Exorzisten versucht, die Dämonen auszutreiben, die ihrer Ansicht nach von Katharina Herbst Besitz ergriffen hatten. Sie hatten Psalmen und Litaneien gebetet, der jungen Frau Öl und geweihtes Salz eingeflößt, sie in mit Heilkräutern versetztem Wasser gebadet. Sogar die knöcherne Hand eines Toten wurde ihr aufgelegt, wie die kirchlichen Protokolle vermerken. Nur: Die bösen Geister weigerten sich offenbar hartnäckig, aus dem Körper der vermeintlich Besessenen zu weichen. Herbst knurrte, schrie und verhöhnte die Priester weiterhin, sie spuckte nach ihnen und schlug um sich.*
Hinter einer Sicherheitsschleuse, die in eine fensterlose Halle auf dem Campus der Universität Bremen führt, greift Andreas Kunzmann nach der Nahrung der Zukunft.
Sein Arm fährt bis zum Ellbogen in einen von UV-Licht bestrahlten Tank, sucht kurz, packt schließlich ein Wesen mit einem linsenförmigen, geleeartigen Körper. Mit in alle Richtungen zappelnden
Tentakeln verlässt es in Kunzmanns geschlossener Hand seinen künstlichen Lebensraum. Wir wollen die Ernährungsgewohnheiten der Europäer verändern
, sagt Kunzmann, während er die Mangrovenqualle
in den Tiefkühlschrank legt. Wenig später wird er sie wieder herausholen und für einen Salat nach japanischer Art in Streifen schneiden.*
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* oben der Anfang eines Texts über die Geschichte des Exorzismus, erschienen im Oktober 2025 in Spiegel Geschichte, unten der einer Reportage über Quallen als Nahrungsmittel, erschienen im September 2024 im Leibniz-Magazin.